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(Gilbert Probst)

Funktioniert agiles Arbeiten denn überhaupt?

Die aktuelle Studie der SwissQ wird mit dem Kommentar „Agile verliert an Glanz“ zitiert – ein zentrales Ergebnis ist, dass sich die Zufriedenheit mit dem agilen Vorgehen im letzten Jahr signifikant verschlechtert hat. Eine Studie der Bundeswehr-Universität München zu agilem Arbeiten in der Entwicklung physischer Produkte ergibt, dass die Erwartungen der Unternehmen zu harten KPIs wie Termintreue oft nicht erfüllt werden. Meine langjährigen Erfahrungen als Agile Facilitator und Agile Coach lassen mich hier eine Gegenthese formulieren:

 

Das Potential agiler Arbeitsweisen wird bei weitem nicht ausgeschöpft !

 

Dass der Nutzen agiler Arbeitsweisen in vielen Unternehmen hinter den Erwartungen zurück bleibt, beobachte ich auch immer wieder. Nach meiner Wahrnehmung hat das verschiedene Gründe:

Zuallererst: Agiles Arbeiten wird häufig auf den Einsatz von Methoden reduziert – gern auch als Methode „nur“ der IT oder der Produktentwicklung. Dass agiles Arbeiten einen deutlichen Kulturwandel bedeutet, das heißt einen Wandel für Führung und Unternehmenskultur erfordert, wird dabei oft vernachlässigt. Zu berücksichtigen ist: Die Unternehmenskultur ist die Folge von organisatorischen Rahmenbedingungen wie Strukturen, die Art und Weise der Entscheidungsfindung etc. Wir müssen also die geeigneten „Hebel“ finden, um die Unternehmenskultur mittelbar zu beeinflussen. Glauben wir die Hebel gefunden zu haben, gilt es dies mit Experimenten zu verproben und die Effekte zu beobachten. In der Praxis beobachte ich, dass diese „Arbeit am System“ oft allenfalls halbherzig passiert. Die erhofften Effekte bleiben dann natürlich meist aus.
Dass die bestehende Unternehmens- und Führungskultur ein Haupthindernis für den Erfolg agiler Arbeitsweisen bilden, das belegen viele Studien bereits seit Jahren (bspw. SwissQ, Prof. Komus - Hochschule Koblenz, VersionOne).

        

 

Der nächste Grund: Agiles Arbeiten wird oft sehr unprofessionell eingeführt. Das heißt bspw.:

  • Keine professionelle Begleitung durch externe Agile Coaches.
    Dazu beobachte ich zwei Ausprägungen:

    • Es wird auf externe Begleitung ganz verzichtet und mit internen Ideen drauf los experimentiert. Das kann funktionieren, mündet aber häufig in einem dilettantischen Methodendurcheinander, das weder effektiv noch effizient ist.
      Ein praktisches Beispiel, das mir in den letzten Wochen schon mehrfach begegnet ist: Teams werden aufgefordert „macht doch mal ein Standup“. Dann stehen die Teammitglieder jeden Morgen für 15 Minuten zusammen, ohne dass irgendjemand wirklich sagen kann, warum und wozu. Oft hat niemand dem Team erklärt, wie das Standup überhaupt ablaufen soll. Oder: Das Team stellt fest, dass die vorgegebenen Regeln beim besten Willen einfach nicht zum eigenen Arbeitskontext passen. Nach spätestens 2 Wochen wird diese Praktik dann wieder als unnütz abgebrochen.
      Wichtig ist, schnell ins Handeln zu kommen, aber nicht plan- und ziellos.


               

    • Nicht alle Agile Coaches verfügen über die notwendige Erfahrung und Qualifikation. Zertifikate sind da nur sehr bedingt aussagekräftig. Gute Agile Coaches verstehen sich als Organisations- und Teamentwickler. Sie bringen aus mehr als einem Unternehmen Erfahrungen mit der Einführung agiler Arbeitsweisen mit, haben bereits viele agile Teams erfolgreich begleitet und entwickelt und können bei Bedarf auch mal eine Konfliktbearbeitung moderieren.
      Wenn es sich um Software-Entwicklung handelt, bringen sie auch ein Basis-Verständnis zu den technischen Voraussetzungen für effektives Agiles Arbeiten mit.

  • Die „Selbstorganisation von Teams“ mutierte in letzter Zeit zum neuen Heilsbringer. Er wird nach meiner Wahrnehmung z.T. falsch verwendet oder nur unzureichend verstanden. Selbstorganisation braucht Führung und einen definierten Rahmen; das darf nicht zur Selbstüberlassung à la Laissez Faire werden und auch nicht zur Selbstüberforderung von Mitarbeitern. Selbstorganisation ist vielmehr das Ergebnis eines Teamentwicklungsprozesses – und dieser braucht einen geschützten Raum. Gerade zum Start der neuen Arbeitsweise sind für ein Team klare Rahmenbedingungen und Delegationsregeln wichtig. Selbstorganisation braucht Anleitung, Begleitung für die Teamdynamik und nicht zuletzt Zeit.
    Auch der Teambegriff selbst ist zu klären – oft lerne ich „Teams“ kennen und stelle fest, dass es sich um eine Gruppe von Menschen handelt, die zwar an ähnlichen Themen aber nicht zusammen an einem Produkt oder Service arbeiten.

  • Für Agile Arbeitsweisen werden in den Unternehmen oft zu wenig Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit geschaffen:

    • Externe Agile Coaches sind ein erfolgskritischer Anfangs-Invest, aber auf Dauer benötigt ein Unternehmen, das auf Agilität setzt, interne Agile Coaches, die den Prozess weiter begleiten.

     

    • Scrum Master oder Agile Master – diese Rolle erlebe ich oft als unterschätzt und sie wird niemals überflüssig. Der Scrum Master ist der Coach von Product Owner und Team und hilft dem gesamten Scrum Team kontinuierlich, besser zu werden. Ein guter Scrum Master oder Agile Master hat einen ganz ähnlichen Fokus und Skill wie ein guter Agile Coach.

     

    • Auch der Kontext, in dem agile Arbeit stattfindet, ist zu berücksichtigen – das betrifft neben einem gewandelten Verständnis der Führungsrolle auch die Instrumente des Personalmanagements; in der Regel auch Einkauf von Zulieferungen, zugehörige Serviceerbringung, Marketing etc.

     

    • Oft werden wichtige Stakeholder, allen voran die Kunden der Produktentwicklung nicht ausreichend einbezogen und die neue Art der Zusammenarbeit auch mit Team-externen Beteiligten nicht ausreichend erklärt.

  • Die agile Transition wird als Projekt verstanden und (zu früh) abgeschlossen:

    • Agile Arbeitsweisen basieren auf regelmäßiger Auswertung empirischer Erfahrungen und Daten, die jedes Team selbst prüft und daraus kleine Verbesserungsmaßnahmen ableitet. Diese kontinuierliche Nutzung von Lernschleifen und Adaption bzgl. des Produkts und des Arbeitsprozesses ist der ganz entscheidende Hebel für den Erfolg. In einem wirklich agilen Kontext enden dieser Prozess und der Fokus auf Verbesserung und Lernen nicht.

     

    • Es braucht ein Verständnis, für welche Aufgabenfelder sich agiles Arbeiten tatsächlich eignet - da hilft zur Orientierung bspw. das Cynefin Framework. Und wir müssen abwägen und mit Augenmaß entscheiden, welche Methode wir am besten wählen für Wissensarbeit allgemein, für die Erbringung von Services, für die (Weiter-)Entwicklung von Produkten, Services oder Prozessen…

     

    • Genauso hinderlich wie methodische Beliebigkeit ist das andere Extrem: Frameworks wie bspw. das Scaled Agile Framework™ werden als Blaupause über die bestehende Organisation gestülpt – fertig! Aus meiner Erfahrung kann es durchaus sehr hilfreich sein, sich zum Start an einem Framework zu orientieren. Vorab sollte man auch die Wirkungsweise der Regeln zunächst systematisch zu verstehen. Agiles Arbeiten kann auf dieser Basis aber nur entstehen, wenn die „Start-Konfiguration“ von Teams, Meetings, Artefakten und Regeln auf empirischer Basis in einem kontinuierlichen Lernprozess sukzessive weiterentwickelt wird. Sonst führt auch die Blaupausen-Strategie mittelfristig in die Enttäuschung.

     

     

    • Die hart messbaren Erfolge stellen sich einfach erst nach einer gewissen Zeit ein. Wie lange das in einer konkreten Situation dauert, hängt von den gegebenen Rahmenbedingungen ab, von technischen, organisatorischen und kulturellen Faktoren.

       

 

Ein interessantes Detail verschiedener Studien wird vielleicht durch den letzten Punkt erklärbar:
Die Befragung von Unternehmen ergab, dass sich der Nutzen agiler Arbeitsweisen im Hinblick auf weiche Faktoren wie bessere Kommunikationskultur und Zusammenarbeit im Team, höhere Kundenorientierung durch empathisches Einfühlen in die Kundenbedürfnisse recht schnell einstellt. Deutlich länger dauert es, bis sich Erfolge für harte KPIs einstellen wie höhere Termintreue und Vorhersagbarkeit, kürzere Time-to-Market, verbesserte Produktqualität etc.

Agiles Arbeiten basierend auf dem Agilen Manifest und den agilen Prinzipien wirkt tatsächlich zunächst auf der „weichen Ebene“. Dies ist aber die Voraussetzung dafür, dass der nächste Entwicklungsschritt in den Teams passiert. Ein guter Agiler Coach nimmt mit dem Team bspw. frühzeitig die Lieferfähigkeit und gleichmäßige Arbeitsgeschwindigkeit in den Fokus und leitet das Team an, dies selbst zu überwachen und kontinuierlich zu verbessern.
Das stärkt das Selbstvertrauen der Teammitglieder, sie erleben sich als wirksam und nützlich. Diese Erfahrung wiederum fördert die Weiterentwicklung der Teamkultur, das gegenseitige Vertrauen sowie die Zusagebereitschaft gegenüber Kunden…

 

Ich bin davon überzeugt:
Agiles Arbeiten ist für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen unverzichtbar! Es bringt wirklich großen Nutzen, wenn es für die richtige Aufgabenstellung und wenn es richtig gemacht wird.

Das wurde auch schon vielfach bewiesen.

       

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